Die Auslegung der Fluggastrechteverordnung bereitet immer wieder Schwierigkeiten. Auch ist ihre unterschiedliche Auslegung oft Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. An dieser Stelle möchten ich versuchen die Fluggastrechteverordnung und ihre Anwendbarkeit anhand einiger Beispiele zu beleuchten und zu erklären.
Einen kleinen Hinweis muss ich aber noch geben: Ich kann, will und darf an dieser Stelle aber keine Rechtsberatung durchführen.
Einführung
Die Verordnung der Europäische Union (EU) 261/2004 vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (kurz Fluggastrechteverordnung oder auch FluggastrechteVO, tw. auch als Denied-Boarding-Verordnung bezeichnet ) war bereits in zahlreichen Fällen Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die Verordnung regelt nicht alle Fälle abschließend. Die Praxis legt sie auch immer mal wieder unterschiedlich aus. Dies ist nicht so sehr die Frage schlechter und unvollständiger Ausgestaltungen der Verordnung, sondern eine Frage der Interpretation. Und jeder interpretiert eine Vorschrift halt so, dass sie für ihn günstig ist.
Was insbesondere durch Laien vielfach übersehen wird ist dabei, dass neben der o.g. Vorschrift auch weitere Vorschriften Anwendung finden. Dies ist in diesem Kontext vor allem die Regelung der allgemeinen prozessualen Zuständigkeiten von Gerichten in den Mitgliedstaaten der Europäische Union. Dies ist nämlich nicht Gegenstand der FluggastrechteVO, sondern der Verordnung (EU) 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, kurz Brüssel I a Verordnung, EuGVO . Daher ist nicht nur die Fluggastrechteverordnung zu betrachten, sondern auch die Brüssel I a Verordnung. Ich werde hierauf in der Folge noch eingehen.
Grundlage
Grundlage für die Ansprüche ist Art 3 FluggastrechteVO. Dieser lautet:
(1) Die Verordnung gilt
a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;
b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.
Es gibt aber auch vom Passagier zu beachtende Voraussetzungen, damit dieser seinen Anspruch nicht von vorneherein verwirkt. Dies regelt Art 3 Abs. 2 FluggastrechteVO, demnach muss der Passagier über eine bestätigte Buchung verfügen, sich zur angegebenen Zeit am Abfertigungsschalter einfinden oder falls diese nicht angegeben wurde spätestens 45 Minuten vor Abflugzeit zur Abfertigung einfinden. Es reicht im Regelfalls bei Reisen nur mit Handgepäck ein Online Check In und zu Beginn der Boardingzeit am Gate zu sein, allerdings sollte man nicht später kommen.
Auslegung der Fluggastrechteverordnung
In der Praxis oft Schwierigkeiten bereitet die Frage der Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung einerseits und wie diese Ansprüche geltend zu machen sind andererseits. Sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben sich mit der Auslegung der Fluggastrechteverordnung befassen müssen. Um die Rechtsprechung und auch die Auslegung der Fluggastrechteverordnung etwas besser zu veranschaulichen, möchte ich einige Fallbeispiele geben
Fall 1
Flug Düsseldorf – New York (europäische Airline A)
Ticket ausgestellt auf Airline A
Flug verspätet um 4:15 Stunden
Fall 2
Flug Bangkok – Frankfurt (europäische Airline A)
Ticket ausgestellt auf Airline A
Flug verspätet
Fall 3
Flug Frankfurt – Zurich – Hong Kong (Schweizer Airline S)
Ticket ausgestellt auf Airline S
Variante a) Flug Frankfurt – Zurich verspätet -> Anschluss verpasst
Variante b) Flug Zurich – Hong Kong verspätet
Fall 4
Flug Basel – Kairo (außereuropäische Airline T)
Ticket ausgestellt auf T
Flug verspätet
Fall 5
Flug Beijing – Shanghai (europäische Airline B)
Ticket ausgestellt auf Airline B
Flug verspätet
Fall 6
Flug Brüssel – Shanghai (außereuropäische Airline B)
Ticket ausgestellt auf Airline B
Flug annulliert
Fall 7
Flug Dubai – Düsseldorf (außereuropäische Airline C)
Ticket ausgestellt auf Airline C
Flug verspätet
Fall 8
Flug Frankfurt – Singapore – Jakarta mit europäischer Airline D unter einer Flugnummer
Ticket ausgestellt auf Airline D
Flug Singapore – Jakarta verspätet
Fall 9
Flug 1 Lissabon – Paris (portugiesische Airline A), Umstieg in Paris, Flug 2: Paris – Frankfurt (französische Airline B)
Ticket ausgestellt auf Airline B
Flug 1 verspätet, Anschluss verpasst
Fall 10
Flug 1 Berlin– Brüssel (europäische Airline A), Umstieg in Brüssel, Flug 2: Brüssel – Shanghai (außereuropäische Airline B)
Ticket ausgestellt auf Airline B
Flug 2 kurzfristig annulliert,
Auslegung der Fluggastrechteverordnung: Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung
Die Fluggastrechteverordnung unterscheidet zwischen Nichtbeförderung (Art 4), Annullierung (Art. 5) und Verspätung (Art. 6). Sie gilt auch für mit Meilen in einem Vielfliegerprogramm erworbene Flüge (Art 3 Abs 3 S.2 FluggastrechteVO, nicht jedoch für ID Tickets Art 3 Abs 3 S.1 FluggastrechteVO).
Nichtbeförderung
Die Nichtbeförderung ist in Art. 4 FluggastrechteVO geregelt. Hierunter fällt vor allem die Überbuchung eines Fluges. Die Vorschrift sieht vor, dass die Fluggesellschaft zunächst versucht Passagiere freiwillig zum Verzicht zu bewegen. Die Vorschrift sieht hierbei vor, dass dies zwischen dem betreffenden Fluggast und der Fluggesellschaft unmittelbar geregelt werden kann. Die Fluggesellschaft muss darüber hinaus die zum Verzicht bewegten Passagiere gem. Art. 8 FluggastrechteVO unterstützen. Dies kann die Erstattung des Tickets bzw. des nicht in Anspruch genommenen Teiles desselbigen sein oder ein anderweitiger Transport zum Zielort. Das Wahlrecht hat hierbei der Fluggast, nicht die Fluggesellschaft.
Ist dies jedoch nicht von erfolgreich und es finden sich nicht genügende Passagiere, so sieht Art Abs. 2 FluggastrechteVO vor, dass die Fluggesellschaft Passagieren auch gegen deren Willen den Transport verweigern kann. In diesem Fall ist die Fluggesellschaft aber zu Unterstützung- und Ausgleichsleistungen verpflichtet. Diese sind in Art 7ff. FluggastrechteVO geregelt.
Verspätung
Die Fluggastrechteverordnung teilt die Verspätungen in drei Kategorein ein, wobei der hier einschlägige Art 6 Abs. 1 FluggastrechteVO sowohl die Entfernungen als auch davon abhängig die Dauer der Verspätung berücksichtigt.
a) Flüge bis 1.500 km: Verspätung um zwei Stunde
b) innergemeinschaftliche Flüge mit mehr als 1.500 km bzw. alle anderen Flüge zwischen 1.500 und 3.500 km: Verspätung mehr als drei Stunden
c) Flüge mit mehr als 3.500 km: Verspätung um vier Stunden
Dies bedeutet, dass eine Verspätung von 3:30 h bei einem z.B. Transatlantikflug (mehr als 3.500 km) entschädigungslos hinzunehmen ist.
Die Frage der Berechnung der Verspätung ist strittig, da dies in der Fluggastrechteverordnung nicht geregelt ist. Insoweit muss hier eine Auslegung der Fluggastrechteverordnung durch das Gericht erfolgen. Hierbei ist weitestgehend unstreitig ist, dass auf die Ankunft am Zielflughafen abzustellen ist. Startet das Flugzeug im abgewandelten Fall 1 mit einer Verspätung von 4:15, kommt aber mit 3:55 an, so bestehen keine Ansprüche.
Bei der Berechnung der Verspätung ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil des EuGH voim 26.02.2013 C-11/11) zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung auf die tatsächliche Verspätung am Ankunftsort auszugehen. Beträgt die Verspätung des ersten Fluges im Fall 9 (Frankfurt – Lissabon sind 1.876 km) lediglich 1:50 und ist der umgebuchte Flug sogar überpünktlich und der Passagier erreicht Frankfurt nur mit einer Verspätung von 2:10, so bestehen trotzdem Ansprüche, da auf die Gesamtreise abzustellen ist.
Maßgeblich ist wie dargelegt die Ankunftszeit. Das AG Charlottenburg (Urteil vom 12.02.2014, 234 C 260/13, openJur 2014, 3768) hat entschieden, dass für die Ankunftszeit das Erreichen der Parkposition maßgeblich ist und dies nachvollziehbar belegt. Die Parkposition ist erreicht, wenn das Flugzeug steht und die Durchsage „Doors to manual and cross check“ erfolgt bzw. die Anschnallzeichen ausgeschaltet werden. Dies kann deutlich vor dem Öffnen der Tür sein. Im Regelfall ist dies aber auch die Zeit, die z.B. bei Flighstats als Ankunft genannt wird. Dies kann insoweit als Anhaltspunkt bei der Auslegung der Fluggastrechteverordnung in ähnlichen Fällen dienen.
Darüber hinaus scheint die Trennung zwischen innergemeinschaftlichen Flügen und solchen außerhalb der Gemeinschaft in Art 6 Abs. 1 lit. b) FluggastrechteVO keinen Sinn zu machen. Man muss hierbei aber berücksichtigten, dass z.B. die Azoren oder einige französische Überseegebiete Teil der EU sind und für diese Flüge, selbst wenn sie länger als 3.500 km sind, maximal die Entschädigung nach lit. b) gewährt werden würde.
Annullierung
Wird ein Flug annulliert, so ist Art 5 FluggastrechteVO einschlägig.
Die Ansprüche des Passagiers gegen die Fluggesellschaft hängen von mehreren Faktoren ab. Wird der Flug mindestens zwei Wochen vor Abflug annulliert und der Passagier unterrichtet, so befreit dies die Fluggesellschaft vor Ausgleichsansprüchen. Dies heißt, der Passagier erhält unter Umständen sein Geld zurück und muss sich selbst um einen Ersatzflug kümmern. Dies ist die für den Passagier ungünstigste Variante, da er zwei Wochen vor Abflug meist keinen preislich adäquaten Ersatzflug erhalten wird. Erfolgt die Annullierung in einem Zeitraum von zwei Wochen bis sieben Tage vor Abflug, ist die Fluggesellschaft verpflichtet einen Ersatztransport anzubieten. Hierbei ist der Passagier verpflichtet eine um zwei Stunden frühere Abflugzeit und vier Stunden spätere Ankunftszeit zu akzeptieren. Diese Zeiten sind kumulativ, d.h. sowohl ein früher Abflug als auch eine spätere Ankunft sind möglich. Wird der Flug weniger als sieben Tage vor Abflug annulliert, dann ist die Fluggesellschaft verpflichtet einen Ersatztransport anzubieten. Hierbei ist der Passagier verpflichtet eine um eine Stunde frühere Abflugzeit und zwei Stunden spätere Ankunftszeit zu akzeptieren.
Sofern die Annullierung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückgeht, den die Fluggesellschaft auch mit den ihr zumutbaren Möglichkeiten nicht verhindern kann, dann besteht kein Anspruch (Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO). Hierzu zählen u.U. Wetter, Streik, nicht aber gewöhnliche Defekte am Flugzeug (vgl. zum Streik und einem Notflugplans durch die Lufthansa sowie zur Definition von außergewöhnlichen Umständen; Urteil des BGH vom 21.08.2012, X ZR 146/11)
Die Fluggesellschaft wird sich bei einer Annullierung aber möglicherweise hierauf berufen. Teilt die Fluggesellschaft mit, dass ein Defekt vorliegt, dann sollte der Passagier den genauen Defekt in Erfahrung zu bringen versuchen. Ein komplettes Triebwerk z.B. braucht die Fluggesellschaft nicht zwingend vorzuhalten, wohl aber ein Rad, Bremsen oder anderen reguläre Verschleißteile. Dies dürfte auch für regelmäßig angeflogene Ziele gelten.
Ausgleichsansprüche und Betreuungsleistungen
Die Ansprüche bei Flugverspätungen sind in Art. 7 FluggastrechteVO geregelt. Sie richten sich nach den Entfernungen, die bereits in Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO beschrieben worden sind. Folgende Leistungen stehen dem betroffenen Passagier zu
a) 250 EUR für Flüge bis 1.500 km
b) 400 EUR für innergemeinschaftliche Flüge mit mehr als 1.500 km bzw. alle anderen Flüge zwischen 1.500 und 3.500 km
c) 600 EUR für alle Flüge mit mehr als 3.500 km
Darüber hinaus ist die Fluggesellschaft verpflichtet, bei einem verpassten Anschluss oder aus anderen Gründen, gem. Art. 9 FluggastrechteVO mit Mahlzeiten und Getränken zu versorgen oder eine Übernachtung zu bezahlen. Hierbei ist allerdings der Umfang der Mahlzeit eher schwammig formuliert. Über den Begriff „in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit“ kann man trefflich streiten. Dieser Voucher ist wohl auch dann fällig, wenn der Passagier in der Lounge einer Fluggesellschaft unentgeltlich essen und trinken kann; aber auch dies sieht mache Fluggesellschaft anders.
Der Transport zwischen Hotel und Airport ist durch die Fluggesellschaft zu tragen, gleiches gilt für die Kosten die durch die „anderweitigen Beförderung“ zu einem anderen Flughafen in derselben Stadt erfolgen. Fliegt man also statt zum gebuchten New York JFK nach Newark, dann ist der Transport von Newark nach JFK zu zahlen. Ich habe allerdings in diesem und ähnlichen Fällen einen Taxivoucher in die Stadt akzeptiert bzw. diese Kosten zur Erstattung eingereicht.
Die Kosten der Hotelübernachtung gibt es meist in Form von Vouchern. Da es aber eben auch länger dauern kann, wenn ein voller Airbus A 380 annulliert wird und alle Passagiere zum entsprechenden Schalter rennen, kann man auch selbst buchen und die Kosten der Fluggesellschaft zur Erstattung einreichen. Hier besteht aber das Restrisiko, dass man auf einem Teil der Kosten sitzen bleibt. Persönlich habe ich hier allerdings bislang keine negativen Erfahrungen gemacht, als ich bei einem annullierten Flug nach Singapore noch im Flieger per App das Hilton Garden Inn Frankfurt Airport gebucht hatte. Ich empfehle aber zumindest die entsprechende Hotline der Fluggesellschaft telefonisch zu informieren. Meist gibt es aber die Informationen auch aus der App.
Den Begriff „nach vernünftigem Ermessen“ in Art 6 Abs. 1 S. 1 FluggastrechteVO interpretieren Fluggesellschaften gerne wie den Begriff der höheren Gewalt. Demnach ist eine sich durch Verspätung in der Rotation eines Flugzeuges ergebende Verspätung nach Ansicht der Fluggesellschaft nicht vorhersehbar. Daher wird gerne behauptet, dass Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung nicht bestehen. Hier kann z.B. anhand der Kennung des Flugzeuges bei Flighradar24 herausgefunden werden, wie sich die Verspätung des Fluges entwickelt hat. Argumentativ ist z.B. bei einer bereits absehbaren Verspätung vertretbar zu sagen, dass die Airline die Rotation der Maschinen hätten ändern müssen.
Auslegung der Fluggastrechteverordnung: Flüge mit europäischen Fluggesellschaften
Wer mit einer europäischen Fluggesellschaft fliegt, hat – vereinfacht gesprochen – die besten Chancen Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung geltend zu machen. Allerdings müssen wir hier trennen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, den EFTA Staaten zu denen Norwegen, Island, und die Schweiz gehörten sowie dem restlichen Europa.
Mitgliedstaaten der EU
Im Fall 1 ist die Fluggesellschaft daher zu einer Zahlung verpflichtet, wenn der Flug verspätet ist. Dies würde genauso gelten, wenn der Flug weniger als zwei Wochen vor Abflug annulliert worden wäre. Anspruchsgrundlage ist hier Art. 3 Abs. 1 lit a) FluggastrechteVO.
Im Fall 2 ist Art 3 Abs. 1 lit a) FluggastrechteVO nicht einschlägig, da der Passagier nicht von einem europäischen Flughafen gestartet ist. Allerdings greift hier Art 3 Abs. 1 lit. b), denn die Fluggastrechteverordnung ist auf europäische Fluggesellschaft auch anzuwenden, wenn die Verspätung auf einem Flug von einem Drittstaat in die Europäische Union entstanden ist. Gleiches würde auch hier für eine Annullierung gelten. Insoweit bedarf es keiner Auslegung der Fluggastrechteverordnung, dies ist klar geregelt.
EFTA Staaten
Die Fluggastrechteverordnung gilt auch im Europäischen Wirtschaftsraum. Sie findet grundsätzlich auch in der Schweiz Anwendung. Die Schweiz hatte sich insoweit der Rechtsprechung EuGH unterworfen, das bilaterale Recht aber nicht in nationales Recht übernommen. Das Zivilgericht Basel-Stadt hatte daher die Anwendung auf Flüge in und aus dem europäischen Raum beschränkt und für alle Flüge zwischen der Schweiz und Drittstaaten für nicht anwendbar erklärt. Hierbei stützte man sich pikanterweise auf eine Publikation der auf Luftverkehrsrecht spezialisierten Juristin Prof. Dr. Regula Dettling-Ott. Diese stand zu diesem Zeitpunkt im Sold der Lufthansa Group. Insoweit ist diese Meinung nicht unabhängig und hätte insoweit nicht ungeprüft übernommen werden sollen, wie das Zivilgericht Basel-Stadt dies aber getan hat.
Insoweit kann gegenwärtig nur in Fall 3a ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 1 lit a) FluggastrechteVO bejaht werden. Im Fall 3b) ist gegenwärtig eine Vorlage beim EuGH anhängig. Der BGH (Beschluss des BGH vom 09.04.2013, X ZR 105/12) hatte in einem ähnlichen wie dem hier geschilderten Fall die die Anwendung der Fluggastrechteverordnung auf Flüge zwischen der Schweiz und Drittstaaten für möglich erachtet. Er sah sich aber durch die abweichende Entscheidung des Zivilgerichtes Basel-Stadt hieran gehindert und hat die Sache dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Eine Entscheidung hierüber steht noch aus.
Es wird in Teilen der Literatur die Ansicht vertreten, dass die Fluggastrechteverordnung nur auf für Flüge zwischen Mitgliedstaaten der EU und diesen Staaten anzuwenden ist.
Besonderheit Basel
Auch wenn dies aufgrund des eben gesagten etwas verwirrend klingen mag, in Fall 4 findet die Fluggastrechtverordnung Anwendung. Zwar ist Basel eine Schweizer Stadt, aber der Flughafen ist der sog. Euroairport Basel-Mulhouse (BSL). Der Flughafen liegt auf Französischem Gebiet und wird von einem Schweizerisch-Französischen Konsortium betrieben. Hierüber wurde 1949 ein Staatsvertrag errichtet, der in Art 6 regelt, dass für den gesamten Flughafen Französisches Recht gilt. Insoweit findet die Fluggastrechteverordnung unmittelbar Anwendung. In Fall 4 sind Ansprüche daher in Frankreich geltend zu machen.
europäische Staaten, die nicht Mitglied der EU sind
Europäische Staaten, die nicht Mitglied der EU sind und auch nicht Mitglied der EFTA, werden im Sinne der Fluggastrechteverordnung wie außereuropäische Staaten behandelt.
Die mit Dänemark assoziierten Färöer-Inseln sowie Grönland sind nicht Teil der EU.
Die französischen Überseedepartements (Französisch-Guyana, Guadeloupe, Martinique, Mayotte, La Réunion und Saint-Martin) sind hierbei Teil der Europäischen Union, nicht aber die anderen französischen Überseegebiete.
Die zu Portugal gehörenden Azoren sowie Madeira geltend als Teil der EU.
Im Gegensatz zu den französischen Gebieten sind die benachbarten niederländischen Überseegebiete (Aruba, Curacao, Sint-Maarten, Bonaire, Sint-Eustatius und Saba) nicht Teil der EU.
Die Kanaren und Balearen sind als Teil Spaniens auch insoweit Teil der EU.
Das Vereinigte Königreicht ist – noch – Teil der EU. Die britischen Überseegebiete allerdings gelten insoweit nicht als Teil der EU wie auch die Kanalinseln und die Isle of Man. Auf Gibraltar findet die Verordnung expressis verbis (Art 1 Abs. 3 FluggastrechteVO) keine Anwendung.
Der Türkische Teil Zypern (Nordzypern) ist gleichfalls nicht Mitglied der EU.
außereuropäische Staaten
Die Fluggastrechteverordnung findet zudem keine Anwendung, wenn eine europäische Fluggesellschaft Flüge zwischen Drittstaaten anbietet und die Verspätung dort begründet wurde. Insoweit bestehen keine Ansprüche in Fall 5.
Es ist hierbei allerdings der Abflugort zu beachten, d.h. im Fall 8 bestehen Ansprüche, da eine Gesamtschau zu erfolgen hat und der Zwischenstopp in Singapore rein technisch ist, der Passagier hat einen Flug Frankfurt – Jakarta gebucht. Es steht allerdings zu befürchten, dass die Fluggesellschaft die Auslegung der Fluggastrechteverordnung zu ihren Gunsten führen wird und Ansprüche verneint und lediglich das Segment Singapore – Jakarta betrachtet. Dies dürfte aber nicht richtig sein, müsste aber möglicherweise gerichtlich geltend gemacht werden.
Auslegung der Fluggastrechteverordnung: Flüge mit außereuropäischen Fluggesellschaften
Im Fall 6 ist ausschlaggebend, dass der Flug in einem Mitgliedstaat der europäischen Union startet, somit findet Art. 3 Abs. 1 lit a) FluggastrechteVO Anwendung und die – außereuropäische Fluggesellschaft – ist zu einer Kompensation gemäß Fluggastrechteverordnung verpflichtet. Dies ist im Fall der Fluggesellschaft Delta Airlines vom BGH auch höchstrichterlich festgestellt worden (Urteil des BGH vom18.01.2011 X ZR 71 / 10 mit weiteren Nachweisen und einer ausführlichen Darstellung zur Anwendbarkeit in RN 26ff). Geltend zu machen ist der Anspruch im vorliegenden Fall 6 allerdings in Belgien, was aber in der Brüssel Ia Verordnung begründet ist.
Im Fall 7 besteht allerdings kein Anspruch. Hier liegen die Voraussetzungen des Art 3 Abs. 1 FluggastrechteVO nicht vor, denn der Flug ist nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestartet (lit a) und wurde nicht von einer europäischen Fluggesellschaft durchgeführt (lit b).
Auslegung der Fluggastrechteverordnung: Umsteigeverbindung
Eine der Fragen, die bislang nicht höchstrichterlich geklärt war, ist wie die Auslegung der Fluggastrechteverordnung zu erfolgen hat, wenn einer von mehreren Flügen (Umsteigeverbindung) verspätet ist.
Innereuropäische Umsteigeverbindungen
Der EuGH hatte über eine Auslegung der Fluggastrechteverordnung ähnlich der Konstellation in Fall 9 zu entscheiden, bei der der erste Flug verspätet gewesen ist.
Passagiere scheuen in der Regel die Geltendmachung von Ansprüchen in anderen Ländern, als dem Heimatland. Grund hierfür sind die Sprachbarrieren, das unbekannte Gerichtsverfahren und mögliche Kostenrisiken. Dabei gibt es auch hier das europäische Small Claims Verfahren, was zumindest die Schwierigkeiten der Sprachbarriere und des unbekannten Verfahren minimiert. Dies soll aber nicht Gegenstand dieser Diskussion sein.
In jedem Fall machten sich die Fluggesellschaften diese Hemmnisse zu Nutze und forderten die Klage vor dem Gericht Ihres Sitzes, alternativ des Erfüllungsortes. Im Fall des ersten Fluges Portugal, was jedoch nicht eine Frage der Auslegung der Fluggastrechteverordnung, sondern der Anwendung der Brüssel Ia Verordnung. Dies bedeutet, Ansprüche bestehen, aber die Fluggesellschaft negiert die Ansprüche und verweist auf die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung. Will der Kunden nun seine Ansprüche geltend machen, dann – so die Fluggesellschaft – muss er dies an einem Gericht in einem anderen als seinem Heimatland machen. Dies ist reine Prozesstaktik der Fluggesellschaft.
Dem hat der EuGH allerdings jüngst einen Riegel vorgeschoben. In einer Entscheidung vom 08.03.2017 (Urteil des EuGH vom 07.03.2018 C-274/16) hat es entschieden, dass die Brüssel Ia Verordnung „dahin auszulegen (sei), dass bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise „Erfüllungsort“ im Sinne dieser Bestimmungen der Ankunftsort der zweiten Teilstrecke ist, wenn die Beförderungen auf den beiden Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden und die Klage gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung bei dieser aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise auf eine Störung gestützt wird, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.“
Dies bedeutet, dass im Fall 9 die Klage auch vor einem deutschen Gericht erfolgen kann. Somit wird es deutlich einfacher Ansprüche im Heimatland anhängig zu machen, da eine Klage hier möglich ist. Die Weigerung der Zahlung durch die zahlungsverpflichtete Fluggesellschaft mit dem Hinweis der Klageerhebung im Heimatland ist damit nicht mehr zugkräftig, da der Fluggast auch vor einem – hier – deutschen Gericht Klage gegen die Fluggesellschaft erheben kann.
Code Sharing – nur die Rosinen picken geht nicht …
Hierbei sind auch die Ausführungen des europäischen Generalanwaltes in seinem Schlussvortrag interessant: „Unabhängig davon gibt es ein – wohl wichtigeres – grundsätzliches Argument: Code-Sharing oder sonstige Zusammenschlüsse von Luftfahrtunternehmen sind das Ergebnis von Geschäftsstrategien und von den betreffenden Luftfahrtunternehmen frei abgeschlossenen Geschäftsvereinbarungen. Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man davon ausgeht, dass solche Vereinbarungen abgeschlossen werden, um den Umsatz und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern: Ein Luftfahrtunternehmen, das mehr Zielorte anbieten kann, wird mehr Flugscheine verkaufen können. Es ist nur konsequent, dass das Risiko, das ein solches Verfahren mit sich bringt, letztlich von der Einheit (oder von denjenigen Einheiten) getragen wird, die den wirtschaftlichen Nutzen davon haben werden.“
Dieser bringt klar zum Ausdruck, dass es nicht sein kann, dass die Fluggesellschaften zwar den wirtschaftlichen Vorteil einer Code Share Verbindung ziehen wollen, aber die sich für die Fluggesellschaften hieraus ergebenden (negativen) Risiken nicht übernehmen wollen.
Der EuGH hat dies in der o.g. Entscheidung für einen Fall entschieden, bei dem Flughafen A und B im gleichen Mitgliedstaat der EU liegen. Dies ist aber wie von mir dargelegt auch auf Fälle anzuwenden, in denen die Flughäfen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU liegen.
Außereuropäische Umsteigerverbindungen
Eine anderes Verfahren, dass in diesem Urteil verhandelt wurde, ist die Konstellation des Falles 10. Hier hat der EuGH geurteilt, dass die Verordnung (EG) 44/2001 (diese wurde durch die für diesen Fall gleichlautenden Brüssel Ia VO abgelöst) „dahin auszulegen (sei), dass er auf einen Beklagten mit (Wohn-)Sitz in einem Drittstaat wie die Beklagte des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.“
Dies bedeutet, dass hier Ansprüche zwar bestehen, diese jedoch nur in Belgien geltend gemacht werden können. Auch diese ist keine Frage der Auslegung der Fluggastrechteverordnung, sondern der Anwendbarkeit der Brüssel Ia Verordnung.
Zwar geht die Rechtsprechung (EuGH 09.09.2009, C-204/08 sog. Rehder Doktrin) davon aus, dass Klagen bei einer Umsteigeverbindung sowohl am Abflug als auch an Ankunftsort geltend gemacht werden können. Um dies zu bejahen, müssen aber alle Vertragsparteien ihren (Wohn)sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union haben. Ist dies nicht der Fall, dass ist die Klage am Erfüllungsort zu erheben bzw. es geltend die allgemeinen prozessualen Vorschriften. Bei einem Flug aus einem Mitgliedstaat der europäische Union in ein Land außerhalb der europäischen Union, durchgeführt von einer Fluggesellschaft, die keine einen Gerichtsstand begründende Niederlassung in der Europäischen Union hat, ist dies nur der Abflugort, in obigem Fall 10 wäre eine Klage somit nur in Brüssel gem. Art. 5 der Verordnung (EU) 1215 / 2012 möglich.
Zur Frage der Berechnung der Verspätung sei auf die obigen Ausführung zur Verspätung Bezug genommen.
Fazit
Es handelt sich bei der Auslegung der Fluggastrechteverordnung um ein äußerst komplexes Themengebiet. Und an dieser Stelle sind Punkte wie höhere Gewalt, Wetter oder ähnliches, welches u.U. die Fluggesellschaft von etwaigen Ansprüchen freistellen, nicht einmal abschließend betrachtet worden.
Die Entscheidung des EuGH zur Umsteigeverbindung ist zu begrüßen. Sie gibt zum einen endlich Rechtssicherheit und schiebt der Praxis ausländischer Fluggesellschaft einen Riegel vor, durch prozesstaktische Erklärungen die Durchsetzung der Ansprüche zu verhindern.
Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Fluggesellschaft den deutschen Markt nicht selbst bedient und nicht mindestens über eine den Gerichtstand möglicherweise begründende Zweigniederlassung in der Europäische Union verfügt. Auch wenn sich die meisten Passagiere dieses Umstandes nicht bewusst sind, durch einen Abflug außerhalb von Deutschlands bzw. die Buchung einer außereuropäischen Fluggesellschaft werden die Möglichkeiten der Geltendmachung von Ansprüchen aus Flugverspätung erschwert oder sind gar nicht anwendbar.
Auch ist die Auslegung der Fluggastrechteverordnung nicht das einzige Problemfeld. Die Vorschriften nach prozessualen Vorschriften – insbesondere der Brüssel Ia Verordnung – sind gleichfalls zu berücksichtigen. Insbesondere bei Abflüge aus dem Ausland kann dies von Bedeutung sein.
Auch wenn noch zahlreiche Fragen offen sind und nicht alle Fragen der Auslegung der Fluggastrechteverordnung entschieden worden sind, so bleibt doch zu hoffen, dass die Unsicherheit in einigen Punkten in absehbarer Zeit beseitigt wird. So bleibt zudem zu hoffen, dass der EuGH die Frage der Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung auch für Flüge zwischen der Schweiz (bzw. EFTA Staaten) und Drittstaaten im Sinne der Fluggäste entscheidet.
Und es ist nicht nur eine Frage der Auslegung der Fluggastrechteverordnung allein, es ist oft auch eine Frage weitere Vorschriften, die bei der Geltendmachung zu beachten sind.
Ich hoffe, ich konnte in verständlicher Form etwas zur Aufklärung beitragen. Wie so vieles im Bereich der Rechtsprechung ist dies eine Frage der Auslegung. Meine Interpretation und Auslegung der Fluggastrechteverordnung muss nicht zwingend die einer Fluggesellschaft oder eines Gerichtes sein. Wie heißt es so schön in der römischen Juristenweisheit:
„Coram iudice et in alto mari sumus in manu dei“, zu deutsch „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“
Wie sind Eure Erfahrungen mit der Fluggastrechteverordnung? Habt Ihr schon einmal Ansprüche geltend gemacht? Teilt uns Eure Erfahrungen in den Kommentaren mit.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar