Der Europäische Gerichtshof sah sich unlängst mit der Frage befasst, was außergewöhnliche Umstände gemäß Europäischen Fluggastverordnung sind. Grund war eine entsprechende Vorlage an durch das Landgericht Köln vom 25.07.2017. Wir stellen Euch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (Urteil vom 04.04.2019 C-501/17) zu außergewöhnlichen Umständen aus April 2019 vor. Wir setzten hierbei zudem unsere lose Reihe der aktuellen Rechtsprechung zur Europäischen Fluggastverordnung fort.
Ausgangslage
Der Kläger in dem Verfahren, welches der Europäische Gerichtshof zu entscheiden hatte, flog im August 2015 mit Germanwings von Dublin nach Düsseldorf. Der Flug erreichte Düsseldorf allerdings mit einer Verspätung von 3:28 h. Grund hierfür war, dass die Cockpitcrew bei einer Kontrolle in Dublin festgestellt hatte, dass der Reifen durch eine Schraube beschädigt war. Um die Sicherheit zu gewährleisten musste dieser in Dublin ausgetauscht werden. Hierdurch kam es zu der vorgenannten Verspätung von knapp dreieinhalb Stunden.
Germanwings berief sich auf außergewöhnliche Umstände gemäß Europäischen Fluggastverordnung und lehnte eine Ausgleichszahl ab. Hierauf verklagte der Passagier Germanwings auf Zahlung vor dem Amtsgericht Köln. Dieses bestätigte den Anspruch, da es den Reifenschaden als zum normalen Betrieb gehörend ansah. Somit sei die Fluggesellschaft ausgleichspflichtig. Gegen dieses Urteil legte Germanwings wiederum Berufung zum Landgericht Köln ein. Es begründete dies damit, dass das Amtsgericht die von der Fluggesellschaft zu beherrschende Sphäre überdehnt habe.
Das Landgericht Köln vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung über den Rechtsstreit davon abhänge, ob die Beschädigung eines Reifens durch eine auf dem Rollfeld liegende Schraube nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EU) 261/2004 Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sei oder nicht und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen sei. Diese Frage wird durch die Gerichte mit Blick auf Beschädigungen und Vogelschlag nicht einheitlich gesehen.
Vorlagefrage
Das Landgericht Köln hat das Verfahren im daraufhin im Juli 2017 ausgesetzt. Es legte die Akte dem Europäischen Gerichtshof mit folgender Frage zur Vorabentscheidung vor.
Ist die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine auf der Start- oder Landebahn liegende Schraube (Fremdkörper/FOD) ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004?
In der Vorlage Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zu außergewöhnlichen Umständen im April 2019 hat dieser sich nun zu dieser Frage geäußert. Gleichzeitig wirft die Entscheidung aber auch einige Fragen auf. Diese muss das Landgericht Köln nun im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes beantworten.
Problemfeld
Was außergewöhnliche Umstände gemäß Europäischen Fluggastverordnung sind ist nicht klar definiert. Eine Hilfe könnten allerdings die Erwägungsgründe der Fluggastverordnung geben.
Diese führen hierzu aus
„(14) Wie nach dem Übereinkommen von Montreal sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
(15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“
Damit ist der Begriff der außergewöhnlichen Umstände in der Verordnung weder definiert noch festgelegt. Denkbar wäre hier den Begriff mit „höherer Gewalt“ gleichzusetzen. In der Entstehung der Verordnung wird aber klar, dass der Europäische Verordnungsgeber genau diesen Weg nicht gehen wollte (vgl. hierzu die Ausführungen im Schlussantrag des Europäische Generalanwaltes vom 22.11.2018) hierzu. Die Rechtsprechung beantwortet die Frage, was außergewöhnliche Umstände im Sinne der Europäischen Fluggastverordnung sind, unterschiedlich.
Entscheidung
Bereits vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zu außergewöhnlichen Umständen im April 2019 gab es Entscheidungen zur Frage außergewöhnlichen Umständen.
Der Europäische Gerichtshof hatte dies bislang als solche Vorkommnisse definiert, die in ihrer Ursache nach nicht im normalen Betrieb einer Fluggesellschaft begründet sind. Diese dürfen hierbei nicht von der Fluggesellschaft beherrschbar sein.
Hierbei geht der Europäische Gerichtshof allerdings dem Grundsatz nach davon aus, dass Mängel an Teilen eines Flugzeuges untrennbar mit dem Betrieb verbunden sind. Dies gilt sogar für unerwartete Mängel. Insoweit ist die Beschädigung eines Reifens zunächst einmal nicht als ein außergewöhnlicher Umstand anzusehen.
Der Europäische Gerichtshof sieht gleichfalls die Beschädigung eines Flugzeuges durch eine Flugzeugtreppenfahrzeug (EuGH, Urteil vom 14.11.2014, C-394/14) nicht als außergewöhnlichen Umstand an. Diese wird benötigt, damit die Passagiere das Flugzeug betreten können und gehört somit zum normalen Betrieb.
Er bejaht dies demgegenüber nicht für Vogelschlag. Ein Zwischenfall hierdurch und damit einhergehend eine Verspätung sind nach Ansicht des Europäischen Gerichtshof außergewöhnliche Umstände im Sinne der Europäischen Fluggastverordnung (EuGH, Urteil vom 04.05.2017, C-315/15). Eine Ausgleichspflicht wurde hierbei verneint.
Was außergewöhnliche Umstände gemäß Europäischen Fluggastverordnung sind, ist hierbei aber auch die Beherrschbarkeit durch die Fluggesellschaft. Umstände, die außerhalb hiervon liegen, sind außergewöhnliche Umstände.
Dies gilt für die Schraube auf der Landebahn. Die Landebahn wird vom Flughafen kontrolliert. Somit ist die Fluggesellschaft nicht in der Lage, dies zu beeinflussen. Demgegenüber gilt dies aber z.B. nicht für die Fluggastbrücke oder ein Treppenfahrzeug. Dies wird zumindest mittelbar von der Fluggesellschaft beeinflusst. Denn sie entscheidet durchaus bewusst, ob sich die teurere Position am Gate nutzt oder die günstigere auf dem Terminal
Abgrenzung
Die Abgrenzung fällt hierbei schwer. Der juristische Laie dürfte hierbei einige Schwierigkeiten bekommen. Ihr könnt Euch dies aber in gewisser Weise vorstellen, dass die Fluggesellschaft die Fluggastbrücke selbst bestellt und ohne diese keine Passagiere ins Flugzeug kommen. Dies hängt damit unmittelbar mit dem Betrieb des Flugzeuges mit Passagieren zusammen.
Die Landebahn nutzt die Fluggesellschaft zwar, aber sowohl bei der Wahl als auch bei der Kontrolle muss sie sich auf den Flughafenbetreiber verlassen. Sie hat über die Art und Weise und Häufigkeit der Kontrolle keinen Einfluss.
Somit ist die Beschädigung des Reifens durch einen auf der Rollbahn außergewöhnliche Umstände im Sinne der Europäischen Fluggastverordnung auszulegen.
Beweislast
Das allein reicht aber noch nicht aus, damit die Fluggesellschaft von Ihrer Eintrittspflicht befreit wird.
Die Fluggesellschaft muss alles in Ihrer Macht Stehende unternommen haben, damit die Beschädigung des Reifens nicht zu einer großen Verspätung des Fluges führt. Die Beweislast hierfür trifft nun wiederum Germanwings. Hier beruft sich Germanwings auf außergewöhnliche Umstände im Sinne der Europäischen Fluggastverordnung. Somit ist diese beweispflichtig.
Dies dürfte gleichfalls eine nicht unwichtige und vor allem auch eine entscheidungserhebliche Frage sein. Es bleibt daher interessant, wie in der Folge Germanwings vor dem Landgericht Köln argumentieren wird. Anhaltspunkte geben die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im vorliegenden Urteil. Dort heißt es hierzu:
… wobei die Luftfahrtunternehmen auf den von ihnen angeflogenen Flughäfen, einschließlich derjenigen, an denen sie nicht ihren Hauptstandort haben, Verträge mit Luftfahrzeugwartungsunternehmen über den Reifenaustausch abgeschlossen haben können, die ihnen eine vorrangige Behandlung beim Austausch der Reifen gewährleisten.
Mit dieser Frage muss sich nun aber das Landgericht Köln auseinandersetzen.
Fazit
Die Rechtsprechung zur Europäischen Fluggastverordnung im April 2019 festigt die Begrifflichkeit der außergewöhnlichen Umstände gemäß Europäischen Fluggastverordnung. Und diese fällt hier durchaus im Sinne der Fluggesellschaft aus. Nur solche Ereignisse fallen hierunter, die im Betrieb eines Flugzeuges begründet sind und von der Fluggesellschaft vollständig beherrschbar sind.
Um sich hierauf berufen zu können, muss die Fluggesellschaft aber alles in Ihrer Macht Stehende unternommen haben, um die Verspätung zu verringern. Dies kann durch Verträge mit Wartungsunternehmen an den Flughäfen geschehen, die diese regelmäßig anfliegt. Solchermaßen kann die Fluggesellschaft bevorzugte Behandlung erhalten und damit die Verspätung zu minimieren versuchen.
Mit anderen Worten es bleibt spannend, denn auch die nun aufgeworfene Frage dürfte nicht trivial sein.
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