Statt Geld Gutscheine bei der Stornierung von Tickets wegen Coronavirus?

Das sogenannten „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung will sich bei der EU dafütr einsetzen, dass es grundsätzlich Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus geben soll. Wie ist dieser Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnis rechtlich und wirtschaftlich zu beurteilen? Wir gehen dieser Frage nach.

Stornierung von Tickets

Vermutlich habt Ihr schon vernommen, dass es einen entsprechenden Vorstoß des Corona-Kabinetts gibt. Aber wie so oft gibt es hierbei verschiedenen Facetten. Wir versuchen in unserem Bericht einmal beide Seiten zu betrachten.

Die Reisebeschränkungen als Folge der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus führten dazu, dass fast alle Flüge in den kommenden Wochen ausfallen. Ganze Airlines haben den Betrieb einstweilen eingestellt.

Damit greift grundsätzlich erst einmal die Verordnung (EU) 261 /2004 (sog. „EU Fluggastrechte-Verordnung“). Art 5 EU-Fluggastrechte-Verordnung regelt die Annullierung eines Fluges. Eine Entschädigung steht Euch insoweit übrigens nicht zu, wenn Ihr mehr als 2 Wochen vor Abflug informiert werdet. Dies dürfte hier der Fall sein.

In diesem Fall ist die Fluggesellschaft also nur verpflichtet, Euch den Ticketpreis gem. Art 8 EU-Fluggastrechte-Verordnung zu erstatten. Es gibt bei bereits angetretenen Reisen zwar Alternativen, diese greifen in der gegenwärtigen Situation aber nicht. Insoweit gehen wir hier nicht darauf ein.

Die Erstattung des Flugpreises soll zudem binnen 7 Tagen erfolgen.

Hieran ändert der Umstand, dass die Stornierung von Flugtickets aufgrund Coronavirus zunächst einmal nichts. Insbesondere greift der Passus von höherer Gewalt i.S.d. Art 5 Abs. 3 EU-Fluggastrechte-Verordnung nicht.

Abflug LHR / BA794 LHR-HEL
Gegenwärtig gilt die Verordnung (EU) 261 / 2004 auch noch für British Airways
(Boeing 747-400 in London Heathrow im Oktober 2018)

Abgrenzung zu eigenen Stornierungen

Die vorgenannten Regelungen greifen allerdings nicht, wenn Ihr einen Flug storniert, der noch durchgeführt wird. Hier stehen Euch grundsätzlich nur die Entschädigungsoptionen zu, die nach den Ticketbedingungen vorgesehen sind. Gleichwohl erlauben viele Fluggesellschaften auch hier mittlerweile aufgrund der Reisebeschränkungen die Stornierung des Tickets.

Auch wenn es sich hierbei um eine Grauzone handelt – eine Reisebeschränkung bei der Einreise für bestimmte Personengruppen ist ein Umstand, der die Fluggesellschaft nicht zur Erstattung des Tickets verpflichtet, wenn der Flug noch durchgeführt wird.

Etwas anders sieht dies bei einer Book with Confidence Politik aus. Hier räumen Euch die Fluggesellschaften die Möglichkeit zur Stornierung ein, sehen aber dann einen Gutschein und nicht die Erstattung des Flugpreises vor.

Wirtschaftliche Auswirkungen der Stornierung von Flugtickets aufgrund Coronavirus

Die Verpflichtung zu einer Erstattung von Tickets in bar führt zu einem hohen Abfluss der liquiden Mittel bei den Fluggesellschaften. Zwar sind die Cash Reserven der Lufthansa mit rund 3 Milliarden Euro recht gut. Ferner ist die Lufthansa Gruppe immerhin im Besitz von 657 Ihrer 763 Flugzeuge, wie sich dem Geschäftsbericht auf S. 24 entnehmen lässt. Auch wenn diese teilweise finanziert sind, können diese hinsichtlich eines Teiles beliehen werden. Dies stell somit gleichfalls einen nicht unerheblichen Wert dar.

Demgegenüber verfügt IAG als Muttergesellschaft von British Airways, Iberia, Air Lingus zwar gleichfalls über nicht unerhebliche Barmittel von rund 10 Milliarden Euro. Sie hat aber einen wesentlich größeren Anteil an geleasten Flugzeugen, die es nicht beleihen kann.

Dies sind zwar zunächst einmal recht hohe Summen an Barmitteln. Aber es muss nun auch betrachten werden, welche Kosten durch die Stornierung von Flugtickets aufgrund des Coronavirus auf die Airlines zukommen.

Auch hier bieten die Geschäftsberichte einen Anhaltspunkt.

Aus dem Geschäftsbericht der Lufthansa Gruppe S 192 (Punkt 38) ergeben sich die Verbindlichkeiten aus gebuchten Tickets mit rund 4.07 Milliarden Euro. Im Vergleich hierzu weist die IAG Gruppe im Geschäftsbericht auf S. 163 (Punkt 21) einen Ausstand von rund 3,8 Milliarden Euro aus. Dies sind somit ähnliche Wert

Auch wenn nicht alle Flüge storniert werden dürften ist dies bei den Fluggesellschaften ein nicht unerheblicher Betrag, der den Cash Flow und die verfügbaren Mittel signifikant reduziert.

Und das Buchungsvolumen dürfte in der nächsten Zeit signifikant zurückgehen.

BA Business / Economy-Class (Airbus A319)
Leere British Airways Business / Economy-Class auf der Kurzstrecke im Airbus A319
(März 2020)

Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Möglichkeit, statt der Zahlung in Geld einen Gutschein zu erhalten, bereits jetzt in Art 8 Abs. 1 i.V.m. Art 7 Abs. 3 EU-Fluggastrechte-Verordnung vorgesehen ist. Dies allerdings nur bei Zustimmung des Fluggastes. Dies bedeutet, dass Ihr bereits jetzt die Möglichkeit habt, für zukünftige Flügen Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus zu erhalten.

Die Bundesregierung möchte allerdings dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis nun umkehren. Hierzu wird es einen entsprechenden Vorschlag () an die EU-Kommission richten.

Vorgesehen ist zudem eine bislang nicht näher definierte Härtefallregelung. Zudem sollen die Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus bis 31.12.2021 gültig sein. Kann eine Einlösung dann nicht erfolgen, ist der Wert zu erstatten.

Sie ist hierbei nicht allein. Auch die niederländische Regierung hat sich nach einem Bericht u.a. bei Bloomberg an die EU Kommission gewandt.

Konferenzraum im Europa Building in Brüssel
Konferenzraum im Europa Building in Brüssel
(Mai 2019)

EU bei Stornierungen von Tickets wegen Coronavirus bei Gelderstattung

Die für Verkehrs und Transport zuständige EU-Kommissarin Adina Valean hat in einem Statement herausgestellt:

Airlines must refund canceled flight tickets. […] They can of course also offer a voucher but – and this is very important – only if the customer agrees to accept this. If the customer does not want a voucher or other proposed solution, the company must reimburse.

Sie ging hierin allerdings nicht auf den Vorstoß aus den Niederlanden und Deutschland ein, Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus zum Regelfalls zu machen. EU-Kommissarin Valean erwähnt gleichfalls nicht, die Verzögerungen bei der Stornierung von Flugtickets aufgrund Coronavirus.

Geld oder Gutschein

Die Regelung der Verordnung (EU) 261 / 2004 gelten. Diese können aufgrund des Rückwirkungsverbotes () grundsätzlich nicht rückwirkend geändert werden. Dies bedeutet, eine Änderung ist nur für die Zukunft (ex nunc), nicht aber für die Vergangenheit (ex tunc) möglich.

Aber – es sind hier Ausnahmen denkbar. Und dies sind z.B. dem Gemeinwohl entspricht. Ob dies hier allerdings greift, darf bezweifelt werden. Eine Entscheidung in einem vergleichbaren Fall ist unseres Wissens hierzu noch nicht ergangen.

Man wird, wenngleich auch gewagt, vertreten können, dass ein Verweis auf einen Gutschein für eine Gruppe von Personen – hier den Fluggästen – zumutbar ist, wenn andernfalls die Gemeinschaft der Steuerzahler in Form einer Unterstützung für die Fluggesellschaft einspringen müsste.

Dies hängt letztendlich aber auch von der Ausgestaltung ab. Denn mit der Befristung bis zum 31.12.2021 ist dies de facto ein zinsloses Darlehen des Fluggastes an die Fluggesellschaft. Die Regelung der Bundesregierung sieht vor, dass die Zahlung in Geld bis zum 31.12.2021 gestundet wird. Dies ist immerhin etwas anderes als ein Verzicht. Zudem dürfte nach unseren Informationen die Bundesregierung für die Zahlung bürgen. In diesem Fall ist das Ausfallrisiko also gering

Unklar ist indes Härtefallregelung. Hier fehlt es gegenwärtig an einer genauen Information der Ausgestaltung. Denkbar ist dies z.B. dann, wenn der Fluggast durch den Verweis auf den Gutschein selbst in die Situation fällt, staatliche Hilfe zu benötigen. Dies indes lässt Raum für Interpretationen. Und damit auch für Probleme und potentielles Streit- und Auslegungspotential.

Frankfurt Flughafen Terminal 1
Frankfurt Flughafen Terminal 1
(Dezember 2018)

Wie können die Fluggesellschaften den Anreiz für eine Gutschein erhöhen

Denkbar – und zum Teil erfolgt dies auch schon – wäre es die Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen des Coronavirus um einen prozentualen Anteil zu erhöhen. Denkbar sind z.B. 10% bis 20% des Wertes. So schafft die Fluggesellschaft einen zusätzlichen Anreiz für die Akzeptanz des Gutscheins. Auch wäre dies ein Stimulus für die Fluggesellschaften und ein Anreiz Flüge zu buchen. Eine fixe Summe ist gerade bei größeren Beträgen im Verhältnis schlechter und daher abzulehnen.

Dabei sollte der Gutschein möglichst lange gültig sein und durch den Kunden selbst – auch in Teilbeträgen – einlösbar sein. Eine Einlösung nur bei einer telefonischen Buchung – womöglich bei zusätzlich anfallenden Kosten – ist hier zu vermeiden. Mindestens müssten die Kosten für eine Buchung per Telefon nicht erhoben werden.

Die Einrichtung einer solchen Lösung sollte zudem nicht so lange dauern, da viele Fluggesellschaften bereits jetzt Gutschein anbieten.

Wir plädieren zudem dafür, dass die öffentliche Hand – also Behörden, ggf. auch Körperschaften des öffentlichen Rechtes – für stornierte Reisen Ihrer Mitarbeiter grundsätzlich Gutscheine akzeptieren. Hier wäre eine Rückforderung von Geld das falsche Signal. Selbst, wenn dies die haushalterischen Vorschriften des jeweiligen Landesrechtes vorsehen.

Was solltet Ihr tun?

Ihr solltet Euch überlegen, ob Ihr bei Stornierungen von Tickets wegen Coronavirus bei Gelderstattung einen Gutschein akzeptieren könntet.

Hierbei ist es wesentlich bei der Überlegung, wie lange der Gutschein gültig ist. Und wie er eingelöst werden kann. Ein Faktor kann zudem sein, ob dieser einen höheren Wert hat. Wir würden Gutscheine, die nur bis zum Ende des Jahres gültig sind, für schlecht halten.

Ein Teil unserer Autoren hat z.B. Reisen in den nächsten 12 Monaten geplant, aber noch nicht gebucht. Etwas anders sieht es bei einem anderen Teammitglied aus, dass schon recht weit im Voraus gebucht hat und die stornierten Flüge nicht notwendigerweise wieder mit dieser Fluggesellschaft vornehmen möchte.

Justizia am Dublin Castle
Justizia am Dublin Castle

Falls Euch die Erstattung in Form eines Gutscheins nicht passt, dann habt Ihr das Recht auf Erstattung in Geld. Allerdings dauert dies gegenwärtig signifikant länger – um nicht zu sagen erfolgt gar nicht – als 7 Tage. Ihr habt damit also Euer Geld noch nicht. Und es besteht auch dann die Gefahr eines Ausfalls, falls die Fluggesellschaft insolvent wird. Wir würden dies indes bei keiner der großen Airlines wie die der Lufthansa Gruppe, der IAG Gruppe, der Air France / KLM Gruppe annehmen wollen. Auch bei den Golfairlines oder staatlich subventierten Gesellschaften (Alitalia, LOT, Singapore Airlines) dürfte diese Gefahr nicht bestehen. Risikobehafteter sind da SAS, Finnair, Virgin Atlantic, Asiana Airlines. Hier würden wir aber eher eine Übernahme annehmen, als eine Insolvenz.

Die Fluggesellschaft ist aufgrund der Regelungen in der Verordnung (EU) 261 / 2004 zwar automatisch in Verzug. Mit Blick auf die Wahlmöglichkeit und um einen Verzugsschaden zu dokumentieren, würden wir eine Zahlungsaufforderung per Einschreiben gegen Rückschein bzw. Telefax senden. Ggf. müsste dann aber Klage erhoben werden. Mit anderen Worten, Euer Geld habt Ihr dann noch immer nicht.

Fazit

Der Vorstoß der niederländischen und deutschen Regierung das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Stornierung von Flugtickets aufgrund Coronavirus umzukehren ist nachvollziehbar. Mit Blick auf die Bilanzen stellt sich auch für große und recht solide Fluggesellschaften ein nicht unerhebliches Risiko dar.

Es stellt sich daher die Frage, ob die Fluggäste verpflichtet werden können, statt einer Erstattung in Geld nur Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus zu erhalten. Dies dürfte nicht per se zulässig sein, obgleich es durchaus einige Anhaltspunkte hierfür gibt, die eine solche Regelung trotz des Rückwirkungsverbotes für möglich zu erklären.

Die EU hat indes klar gemacht, dass sie die Stornierungen von Tickets wegen Coronavirus bei Gelderstattung als Regel ansieht. Indes ist sie auf die Verzögerungen bei der Erstattung sowie die Vorstöße aus den Niederlanden und Deutschland bislang nicht konkret eingegangen. Dies lässt schließen, dass es hier noch Verhandlungen gibt. In der Tendenz neigt die EU allerdings zu verbraucherfreundlichen Entscheidungen.

Aber auch die Airlines sollten von sich aus Anreize schaffen, den Gutschein attraktiv zu machen. Und dadurch die mögliche freiwillige Akzeptanz für Gutscheine bei Stornierung von Tickets wegen Coronavirus zu erhöhen. Fluggesellschaften, die nur den exakten Gegenwert anbieten, schaffen einen solchen Anreiz nicht. Immerhin ist der Gutschein ein zinsloses Darlehen. Es kann nicht erwartet werden, dass man dies ohne Gegenleistung hergibt. Und nicht jeder kann und will dies tun. Wer ein Entgegenkommen der Fluggäste erwartet, muss diesen auch etwas anbieten können.

Etwas anders sieht es aus, wenn Flüge noch nicht storniert sind. Hier ist das Recht auf der Seite der Airline. Ist die Fluggesellschaft bereit eine Stornierung zu ermöglich, obgleich der Flug noch geht, ist der Verweis auf einem Gutschein durchaus legitim

 

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Jan reist seit 20 Jahren und hat es gelernt, diese Reise so angenehm wie möglich zu gestalten. Die häufigen Fragen von Kollegen, Freunden und Bekannten führten zu den Gründungen von Reisenunlimited und Hotels-and-Travel.

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